„Die Leuten sollen ruhig denken: Die sind komisch!“

Mit ihrem innovativen Geschäftskonzept beweisen die Macher vom Katapult-Magazin, dass Nischenjournalismus sehr gute Überlebenschancen hat.

Die neue Ausgabe des Katapult-Magazins ist frisch aus dem Druck. Nun müssen 16.734 Exemplare an die Abonnenten verschickt werden. Mit stoischer Ruhe tüten die Mitarbeiter der Redaktion die Hefte ein. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip besagt: Ab 1000 Stück outsourcen, sonst wird es unrentabel. Für Magazin-Gründer Benjamin Fredrich gibt jedoch einen guten Grund, es selbst zu machen: „Ich sehe das als Teambildungsmaßnahme. Es ist gut für die Stimmung, wenn der Chef und die Praktikantin die gleiche stumpfe Arbeit verrichten.“

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Ganz einfach.

Und genauso einfach erklärt sich für den 31-Jährigen auch die Eistüte als Logo. „Jeder Imageexperte würde sagen: Das Logo muss zum Inhalt passen.“ Was also hat Softeis mit Sozialwissenschaften und Grafiken zu tun? „Gar nichts. Aber jeder Mensch mag Eis, warum also nicht?“

Die Logik bei Katapult folgt einem ganz eigenen Algorithmus aus Antihaltung und Bedürfnisorientierung. „Nach außen wirken wir immer, als ob wir nur Quatsch machen. Die Leute sollten ruhig denken: Die sind komisch.“ Dabei handelt es sich bei dem Nischenmagazin aus Greifswald um eine wohlkalkulierte Erfolgsgeschichte.

2013 begann Benjamin Fredrich, der in Greifswald Politik und Geschichte studierte, mit Katapult als Onlinemagazin. Seit Frühjahr 2016 erscheint es alle drei Monate als gedruckte Ausgabe. Trockene Statistiken können cool sein – dank moderner Grafiken und flüssigen Texten und die konstante Auflagensteigerung ist der symbolische Mittelfinger auf die Prophezeiung „Print-ist-tot.“

Print-ist-tot! Aber in Greifswald bei Katapult lebt die gedruckte Infografik.
Foto: Annika Kiehn

Von Ausgabe elf zur aktuellen Nummer dreizehn, binnen sechs Monaten, sind 4994 neue Abonnenten dazugekommen, 835 davon im Ausland. Das Redaktionsteam ist von sieben auf zehn Mitarbeiter gewachsen, und deren Gehalt vor kurzem um je 250 Euro monatlich. Bei Katapult verdienen alle gleich viel, auch der Chef. Dass sie dabei immer noch weit unter dem Durchschnittslohn liegen, stört sie eher weniger. „Die meisten von uns könnten in großen Verlagshäusern deutlich mehr verdienen, aber ich denke, jeder Angestellte hier schätzt vor allem die Ungezwungenheit. Wir müssen uns mit niemandem arrangieren außer mit uns selbst“, sagt Fredrich.

“Man habe Nachsicht mit Ihnen!”

„Warum Menschen fliehen“, „Esst mehr Insekten“, „Terrorgefahr wächst durch stärkere Zuwanderung nicht“ – die Themen spiegeln Tendenzen des aktuellen Zeitgeists wieder – dabei möglichst provokant aufbereitet. Sowas reibt die Leser auf: „Komische Ökopropaganda!“, schreibt jemand per Instagram. Ein anderer: „Dummes Zeug Geschwätz wie immer von Gutmenschen.“ Einer bemüht sich sogar um eine Analyse: „Der geschätzte Katapult wird von jungen Leuten gemacht. Sie sind links, wollen die Welt verbessern und neigen deshalb stets dazu politisch und tendenziös zu sei. Man habe Nachsicht mit Ihnen.“

Die Kommentare hat die Redaktion im Heft als Lesermeinung abgedruckt. Ist es die Mischung aus wissenschaftlichem Ernst und studentischer Rebellion, mit der das Magazin ankommt?

Anbiedern durch Sachlichkeit wollen sie jedenfalls nicht. Im Gegenteil – lieber eins drauf setzen: Seinen jüngsten Leitartikel „Der große Auflageneinbruch“ über den wirtschaftlichen Absturz der Bildzeitung, hat er von einem Kölner Rapper vertonen lassen. Das Ergebnis ist auf Instagram zu sehen. 62.500 Abonnenten hat Katapult bei dem Social-Media-Kanal – die Berliner Tageszeitung TAZ kommt auf gerade mal 24.500.

Vielleicht liegt es auch einfach an Fredrichs Grundprinzip: Nicht alles bierernst nehmen und sich gleichzeitig volle Kanne hineinstürzen – hinfallen, aufstehen. Dieser Optimismus, gepaart mit einer Endlosschleife an Ideen, treibt das Projekt Katapult immer weiter voran.

Im Redaktionsraum, im Untergeschoss des Greifswalder Biotechnikums, riecht es süßlich aus der Popcorn-Maschine. Damit hat das Team die Besucher bei der Frankfurter Buchmesse erfreut, und mit Eis. Das erste Buch „100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern“, ist bereits in der 4. Auflage erschienen, rund 20 000 verkaufte Exemplare, weit mehr als erwartet.


Katapult-Chefredakteur und Geschäftsführer Benjamin Fredrich starte mit einem EXIST-Gründerstipendium. Foto: Annika Kiehn

Dass das Magazin bereits nach so wenigen Jahren wirtschaftlich so gut dasteht, basiert auf einem wohlüberlegten Businessplan und einer Prise Glück: Mit dem EXIST-Gründerstipendium vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie konnte Benjamin Fredrich die schwierige Anfangszeit überbrücken. Neben einem monatlichen Grundgehalt für ein Jahr – je nach Ausbildungsstatus – gibt es zusätzliche Förderung für Sachausgaben (bis 30 000 Euro) und für Coaching-Beratung (5000 Euro). „Als Sozialwissenschaftlicher waren wir eigentlich nicht die Zielgruppe, sondern eher jene, die eine konkrete Erfindung auf den Markt bringen wollen. Dass wir gefördert wurden, kann man als echte Ausnahme betrachten.“ Chefredakteur Fredrich erzählt dies mit demütig gesenktem Haupt, obwohl dies gar nicht nötig ist. Unter dem Förderpunkt „innovative, wissensbasierte Dienstleistungen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen“ passten sie dann doch ins Raster. Mit seiner Absicht, Grafiken auch an andere Verlagshäuser zu verkaufen, konnte er die Jury überzeugen.

Ratschläge beherzt ingnoriert

Mit dem Dienstleistungsservice sicherte er so anfangs Einnahmen, als Katapult noch auf wackligen Beinen stand. Mittlerweile bekommen sie 30 bis 40 Abo-Anfragen pro Tag, bei drei bis vier Kündigungen. Mit dem Magazin fahren sie nun deutlich mehr Einnahmen ein. „Als wir uns gründeten, hieß es gleich: Ihr müsst raus aus Greifswald, und denkt bloß nicht ans Drucken!“ Benjamin Fredrich hat diese Ratschläge beherzt ignoriert. „In der Großstadt wären wir ein junger Verlag unter Tausenden, hier stechen wir mehr heraus.“

Die Aussichten sind bestens: Wann immer sie die 5000er-Marke an neuen Abonnenten geknackt haben, stimmen sie über eine weitere Gehaltserhöhung ab. Ihr neuester Coup „Das Philosophenquartett“, ein Kartenspiel, sorgt für Zusatz-Einnahmen. Was wünscht er sich noch?

Fredrich denkt kurz nach. „Eigentlich ist alles gut, wie es ist. Manchmal habe ich Angst, dass wir abheben oder einen essentiellen Fehler machen, der uns wirtschaftlich in Gefahr bringt.“ Dass sie von Greifswald aus so gut in der Branche mitmischen können, ist für ihn der größte Erfolg. Wer verzichtet schon freiwillig auf die Nähe zum Meer? „Außerdem hätte ich mich in einer Großstadt eh nicht wohlgefühlt. Ich ertrage diese traurigen Gesichter in der U-Bahn nicht.“

Mehr Informationen zum EXIST-Gründerstipendium: http://www.exist.de.

Foto: Privat


Autorin: Annika Kiehn
© GRUENDER-MV.DE
18.04.2019


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